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Aktuelle Neuigkeiten unserer Volkshochschule

„Franken sind den anderen ein Stück voraus“

Erstellt von Benedikt Dellert |

Warum positives Denken uns nicht weiter bringt und warum Social Media in ihren Augen ein Brandbeschleuniger ist, erklärt Autorin Juliane Marie Schreiber. Stattdessen wäre es in manchen Situationen hilfreicher, laut zu schimpfen. Am 31. Januar 2023 gibt die Bestsellerautorin eine Lesung im Pfarrzentrum St. Augustin. Karten gibt es an sofort in der Buchhandlung Riemann, der Volkshochschule Coburg und www.vhs-coburg.de.

Hallo Frau Schreiber, wenn man ihren Buchtitel liest, vermittelt es den Eindruck, dass Sie nicht gerne glücklich sind?

Juliane Marie Schreiber: Das ist natürlich nicht so und darum geht es mir auch nicht. Im meinem Buch geht es vielmehr um einen neuen gesellschaftlichen Zwang, andauernd positiv sein zu müssen. Ratgeber, Coaches, Werbung und die Nachbarn fordern einen auf: Sei glücklich! Sei nicht so negativ! Sei die beste Version deines Selbst! Das nervt nicht nur viele Menschen, es hat auch eine gesellschaftliche Dimension, um die es im Buch geht: Wir verlagern zu vieles auf eine individuelle, psychologische Ebene. Als wäre alles nur eine Frage der vermeintlich „richtigen Perspektive“, oder eines richtigen „Mindsets“. Das sehe ich kritisch. Denn es führt dazu, dass wir Probleme zu oft psychologisch betrachten, die aber eigentlich gesellschaftlich oder politisch sind und auch so gelöst werden müssen. Viele Dinge in der Welt widerfahren uns völlig unabhängig von unserer inneren Einstellung.

Der Franke gilt als Pessimist und schimpft schon gerne einmal. Leben wir Franken damit besser als andere?

Juliane Marie Schreiber: Tatsächlich gibt es Untersuchungen, die zeigen, dass Schimpfen hilfreich ist, weil es wie ein natürliches Schmerzmittel wirkt. Man kann also ruhig mal vor sich hin schimpfen. In unserer optimierten Welt ist Schimpfen eines der letzten Tabus, dabei liegt darin eine eigene Kunst, man denke nur an Thomas Bernhard.

Im Buch geht es auch darum, dass Optimisten eher an der sogenannten „Optimismusverzerrung“ leiden und sich und ihre Umwelt öfter unrealistisch einschätzen. Eine kleine Prise Pessimismus kann helfen, seine Probleme kritischer und vor allem realistischer anzugehen. Demnach sind die Franken den anderen wohl ein Stück voraus.

Wenn man einmal in die Sozialen Netzwerke schaut, sieht man viele sehr glückliche Menschen die freudig mit uns ihre Urlaubsvideos, Essensbilder und eigentlich immer nur glücklichen Momente teilen. Was halten Sie von Social Media und von dem, was uns dort vermittelt wird?

Juliane Marie Schreiber: Soziale Medien sind ein Brandbeschleuniger für eine Entwicklung, die ich „Glücksprestige“ nenne. Zum ersten Mal können wir unser Leben kuratieren und uns dort als außergewöhnlich glücklich darstellen, mit einem außergewöhnlichen Leben voller toller Momente. Denn: Glück ist zum Statussymbol geworden. Heute ist es nicht mehr nur Reichtum, der zum Gradmesser eines erfolgreichen Lebens geworden ist, sondern vor allem ein außergewöhnliches, aufregendes, besonderes Leben: Der tolle Urlaubsmoment, das perfekte Abendessen. Das Problem dabei ist: Es verschiebt den Normalstandard für alle. Und dann gerät man leicht in einen Zwang, glücklich wirken zu müssen, eine Selbstverstärkungsspirale. Dieses „Kreisen ums Selbst“ ist eine schwierige Entwicklung, denn woher weiß man, ob man schon glücklich genug ist? Mein Buch sagt: Ich möchte nicht andauernd die beste Version meines Selbst sein. Ich möchte einfach nur hier sitzen.

 

Über Juliane Marie Schreiber:

Juliane Marie Schreiber kam 1990 in Ost-Berlin zur Welt. Sie studierte Politikwissenschaften und Soziologie an der Humboldt-Universität sowie an der Sciences Po Paris (Paris School of International Affairs). Sie schloss das Studium mit einer Masterarbeit bei Herfried Münkler über asymmetrische Kriegsführung und die Terrormiliz Islamischer Staat ab. Schreiber publiziert in Medien wie ZDFheute, Philosophie Magazin, SZ-Magazin, Die Zeit, der Freitag, Die Welt und Übermedien.  Ab 2015 gehörte sie zur Redaktion von Jung & Naiv, von 2017 bis 2019 hatte sie ein eigenes Interview-Format „Jung & Naiv – Schreiber Edition“ (Gäste u.a: Gregor Gysi, Omid Nouripour, Naika Foroutan). Sie arbeitet als freie Redenschreiberin, u. a. für Stiftungen und im Bundestag. 2018 veröffentlichte sie Bilder als Waffen im Tectum Verlag (Nomos) mit einem Geleitwort von Herfried Münkler. Im März 2022 erschien ihre Gesellschaftskritik Ich möchte lieber nicht. Eine Rebellion gegen den Terror des Positiven im Piper Verlag.[8] Das Sachbuch stand auf Platz 4 der Spiegel-Bestsellerliste sowie drei Monate auf der Sachbuchbestenliste von Zeit, ZDF und Deutschlandfunk. (Quelle: Wikipedia.de)

Foto: Juliane Marie Schreiber.
18.04.24 09:08:11